ACHTES KAPITEL

KAUFMANN BLOCK · KÜNDIGUNG DES ADVOKATEN

Endlich hatte sich K. doch entschlossen, dem Advokaten seine Vertretung zu entziehn. Zweifel daran, ob es richtig war, so zu handeln, waren zwar nicht auszurotten, aber die Überzeugung von der Notwendigkeit dessen überwog. Die Entschließung hatte K. an dem Tage, an dem er zum Advokaten gehen wollte, viel Arbeitskraft entzogen, er arbeitete besonders langsam, er mußte sehr lange im Bureau bleiben, und es war schon 10 Uhr vorüber, als er endlich vor der Tür des Advokaten stand. Noch ehe er läutete, überlegte er, ob es nicht besser wäre, dem Advokaten telephonisch oder brieflich zu kündigen, die persönliche Unterredung würde gewiß sehr peinlich werden. Trotzdem wollte K. schließlich nicht auf sie verzichten, bei jeder andern Art der Kündigung würde diese stillschweigend oder mit ein paar förmlichen Worten angenommen werden und K. würde, wenn nicht etwa Leni einiges erforschen könnte, niemals erfahren, wie der Advokat die Kündigung aufgenommen hatte und was für Folgen für K. diese Kündigung nach der nicht unwichtigen Meinung des Advokaten haben könnte. Saß aber der Advokat K. gegenüber und wurde er von der Kündigung überrascht, so würde K., selbst wenn der Advokat sich nicht viel entlocken ließ, aus seinem Gesicht und seinem Benehmen alles, was er wollte, leicht entnehmen können. Es war sogar nicht ausgeschlossen, daß er überzeugt wurde, daß es doch gut wäre, dem Advokaten die Verteidigung zu überlassen und daß er dann seine Kündigung zurückzog.

Das erste Läuten an der Tür des Advokaten war, wie gewöhnlich, zwecklos. „Leni könnte flinker sein,“ dachte K. Aber es war schon ein Vorteil, wenn sich nicht die andere Partei einmischte, wie sie es gewöhnlich tat, sei es, daß der Mann im Schlafrock oder sonst jemand zu belästigen anfing. Während K. zum zweitenmal den Knopf drückte, sah er nach der andern Tür zurück, diesmal aber blieb auch sie geschlossen. Endlich erschienen an dem Guckfenster der Tür des Advokaten zwei Augen, es waren aber nicht Lenis Augen. Jemand schloß die Tür auf, stemmte sich aber vorläufig noch gegen sie, rief in die Wohnung zurück: „Er ist es,“ und öffnete erst dann vollständig. K. hatte gegen die Tür gedrängt, denn schon hörte er, wie hinter ihm in der Tür der andern Wohnung der Schlüssel hastig im Schloß gedreht wurde. Als sich daher die Tür vor ihm endlich öffnete, stürmte er geradezu ins Vorzimmer und sah noch, wie durch den Gang, der zwischen den Zimmern hindurchführte, Leni, welcher der Warnungsruf des Türöffners gegolten hatte, im Hemd davonlief. Er blickte ihr ein Weilchen nach und sah sich dann nach dem Türöffner um. Es war ein kleiner dürrer Mann mit Vollbart, er hielt eine Kerze in der Hand. „Sie sind hier angestellt?“ fragte K. „Nein,“ antwortete der Mann, „ich bin hier fremd, der Advokat ist nur mein Vertreter, ich bin hier wegen einer Rechtsangelegenheit.“ „Ohne Rock?“ fragte K. und zeigte mit einer Handbewegung auf die mangelhafte Bekleidung des Mannes. „Ach verzeihen Sie,“ sagte der Mann und beleuchtete sich selbst mit der Kerze, als sähe er selbst zum erstenmal seinen Zustand. „Leni ist Ihre Geliebte?“ fragte K. kurz. Er hatte die Beine ein wenig gespreizt, die Hände, in denen er den Hut hielt, hinten verschlungen. Schon durch den Besitz eines starken Überrocks fühlte er sich dem magern Kleinen sehr überlegen. „O Gott,“ sagte der und hob die eine Hand in erschrockener Abwehr vor das Gesicht, „nein, nein, was denken Sie denn?“ „Sie sehn glaubwürdig aus,“ sagte K. lächelnd, „trotzdem — kommen Sie.“ Er winkte ihm mit dem Hut und ließ ihn vor sich gehn. „Wie heißen Sie denn?“ fragte K. auf dem Weg. „Block, Kaufmann Block,“ sagte der Kleine und drehte sich bei dieser Vorstellung nach K. um, stehenbleiben ließ ihn aber K. nicht. „Ist das Ihr wirklicher Name?“ fragte K. „Gewiß,“ war die Antwort, „warum haben Sie denn Zweifel?“ „Ich dachte, Sie könnten Grund haben, Ihren Namen zu verschweigen,“ sagte K. Er fühlte sich so frei, wie man es sonst nur ist, wenn man in der Fremde mit niedrigen Leuten spricht, alles was einen selbst betrifft, bei sich behält, nur gleichmütig von den Interessen der andern redet, sie dadurch vor sich selbst erhöht, aber auch nach Belieben fallen lassen kann. Bei der Tür des Arbeitszimmers des Advokaten blieb K. stehn, öffnete sie und rief dem Kaufmann, der folgsam weitergegangen war, zu: „Nicht so eilig, leuchten Sie hier.“ K. dachte, Leni könnte sich hier versteckt haben, er ließ den Kaufmann alle Winkel absuchen, aber das Zimmer war leer. Vor dem Bild des Richters hielt K. den Kaufmann hinten an den Hosenträgern zurück. „Kennen Sie den,“ fragte er und zeigte mit dem Zeigefinger in die Höhe. Der Kaufmann hob die Kerze, sah blinzelnd hinauf und sagte: „Es ist ein Richter.“ „Ein hoher Richter?“ fragte K. und stellte sich seitlich vor den Kaufmann, um den Eindruck, den das Bild auf ihn machte, zu beobachten. Der Kaufmann sah bewundernd aufwärts. „Es ist ein hoher Richter,“ sagte er. „Sie haben keinen großen Einblick,“ sagte K. „Unter den niedrigen Untersuchungsrichtern ist er der niedrigste.“ „Nun erinnere ich mich,“ sagte der Kaufmann und senkte die Kerze, „ich habe es auch schon gehört.“ „Aber natürlich,“ rief K., „ich vergaß ja, natürlich müssen Sie es schon gehört haben.“ „Aber warum denn, warum denn?“ fragte der Kaufmann, während er sich, von K. mit den Händen angetrieben, zur Tür fortbewegte. Draußen auf dem Gang sagte K.: „Sie wissen doch, wo sich Leni versteckt hat?“ „Versteckt?“ sagte der Kaufmann, „nein, sie dürfte aber in der Küche sein und dem Advokaten eine Suppe kochen.“ „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“ fragte K. „Ich wollte Sie ja hinführen, Sie haben mich aber wieder zurückgerufen,“ antwortete der Kaufmann, wie verwirrt durch die widersprechenden Befehle. „Sie glauben wohl sehr schlau zu sein,“ sagte K., „führen Sie mich also!“ In der Küche war K. noch nie gewesen, sie war überraschend groß und reich ausgestattet. Allein der Herd war dreimal so groß wie gewöhnliche Herde, von dem übrigen sah man keine Einzelheiten, denn die Küche wurde jetzt nur von einer kleinen Lampe beleuchtet, die beim Eingang hing. Am Herd stand Leni in weißer Schürze wie immer und leerte Eier in einen Topf aus, der auf einem Spiritusfeuer stand. „Guten Abend, Josef,“ sagte sie mit einem Seitenblick. „Guten Abend,“ sagte K. und zeigte mit einer Hand auf einen abseits stehenden Sessel, auf den sich der Kaufmann setzen sollte, was dieser auch tat. K. aber ging ganz nahe hinter Leni, beugte sich über ihre Schulter und fragte: „Wer ist der Mann?“ Leni umfaßte K. mit einer Hand, die andere quirlte die Suppe, zog ihn nach vorn zu sich und sagte: „Es ist ein bedauernswerter Mensch, ein armer Kaufmann, ein gewisser Block. Sieh ihn nur an.“ Sie blickten beide zurück. Der Kaufmann saß auf dem Sessel, auf den ihn K. gewiesen hatte, er hatte die Kerze, deren Licht jetzt unnötig war, ausgepustet und drückte mit den Fingern den Docht, um den Rauch zu verhindern. „Du warst im Hemd,“ sagte K. und wendete ihren Kopf mit der Hand wieder dem Herd zu. Sie schwieg. „Er ist dein Geliebter?“ fragte K. Sie wollte nach dem Suppentopf greifen, aber K. nahm ihre beiden Hände und sagte: „Nun, antworte!“ Sie sagte: „Komm ins Arbeitszimmer, ich werde dir alles erklären.“ „Nein,“ sagte K., „ich will, daß du es hier erklärst.“ Sie hing sich an ihn und wollte ihn küssen. K. wehrte sie aber ab und sagte: „Ich will nicht, daß du mich jetzt küßt.“ „Josef,“ sagte Leni und sah K. bittend und doch offen in die Augen, „du wirst doch nicht auf Herrn Block eifersüchtig sein.“ „Rudi,“ sagte sie dann, sich an den Kaufmann wendend, „so hilf mir doch, du siehst, ich werde verdächtigt, laß die Kerze.“ Man hätte denken können, er hätte nicht achtgegeben, aber er war vollständig eingeweiht. „Ich wüßte auch nicht, warum Sie eifersüchtig sein sollten,“ sagte er wenig schlagfertig. „Ich weiß es eigentlich auch nicht,“ sagte K. und sah den Kaufmann lächelnd an. Leni lachte laut, benutzte die Unaufmerksamkeit K.s, um sich in seinen Arm einzuhängen und flüsterte: „Laß ihn jetzt, du siehst ja, was für ein Mensch er ist. Ich habe mich seiner ein wenig angenommen, weil er eine große Kundschaft des Advokaten ist, aus keinem andern Grunde. Und du? Willst du noch heute mit dem Advokaten sprechen? Er ist heute sehr krank, aber wenn du willst, melde ich dich doch an. Über Nacht bleibst du aber bei mir ganz gewiß. Du warst auch schon so lange nicht bei uns, selbst der Advokat hat nach dir gefragt. Vernachlässige den Prozeß nicht! Auch ich habe dir verschiedenes mitzuteilen, was ich erfahren habe. Nun aber zieh fürs erste deinen Mantel aus!“ Sie half ihm ihn ausziehn, nahm ihm den Hut ab, lief mit den Sachen ins Vorzimmer, sie anzuhängen, lief dann wieder zurück und sah nach der Suppe. „Soll ich zuerst dich anmelden oder ihm zuerst die Suppe bringen.“ „Melde mich zuerst an,“ sagte K. Er war ärgerlich, er hatte ursprünglich beabsichtigt, mit Leni seine Angelegenheit, insbesondere die fragliche Kündigung, genau zu besprechen, die Anwesenheit des Kaufmanns hatte ihm aber die Lust dazu genommen. Jetzt aber hielt er seine Sache doch für zu wichtig, als daß dieser kleine Kaufmann vielleicht entscheidend eingreifen sollte und so rief er Leni, die schon auf dem Gang war, wieder zurück. „Bring ihm doch zuerst die Suppe,“ sagte er, „er soll sich für die Unterredung mit mir stärken, er wird es nötig haben.“ „Sie sind auch ein Klient des Advokaten,“ sagte wie zur Feststellung der Kaufmann leise aus seiner Ecke. Es wurde aber nicht gut aufgenommen. „Was kümmert Sie denn das?“ sagte K. und Leni sagte: „Wirst du still sein.“ „Dann bringe ich ihm also zuerst die Suppe,“ sagte Leni zu K. und goß die Suppe auf einen Teller. „Es ist dann nur zu befürchten, daß er bald einschläft, nach dem Essen schläft er bald ein.“ „Das, was ich ihm sagen werde, wird ihn wacherhalten,“ sagte K., er wollte immerfort durchblicken lassen, daß er etwas Wichtiges mit dem Advokaten zu verhandeln beabsichtige, er wollte von Leni gefragt werden, was es sei, und dann erst sie um Rat fragen. Aber sie erfüllte pünktlich bloß die ausgesprochenen Befehle. Als sie mit der Tasse an ihm vorüberging, stieß sie absichtlich sanft an ihn und flüsterte: „Bis er die Suppe gegessen hat, melde ich dich gleich an, damit ich dich möglichst bald wieder bekomme.“ „Geh nur,“ sagte K., „geh nur.“ „Sei doch freundlicher,“ sagte sie und drehte sich in der Tür mit der Tasse nochmals ganz um.

K. sah ihr nach; nun war es endgültig beschlossen, daß der Advokat entlassen würde, es war wohl auch besser, daß er vorher mit Leni nicht mehr darüber sprechen konnte; sie hatte kaum den genügenden Überblick über das Ganze, hätte gewiß abgeraten, hätte möglicherweise K. auch wirklich von der Kündigung diesmal abgehalten, er wäre weiterhin in Zweifel und Unruhe geblieben und schließlich hätte er nach einiger Zeit seinen Entschluß doch ausgeführt, denn dieser Entschluß war allzu zwingend. Je früher er aber ausgeführt wurde, desto mehr Schaden wurde abgehalten. Vielleicht wußte übrigens der Kaufmann etwas darüber zu sagen.

K. wandte sich um; kaum bemerkte das der Kaufmann, als er sofort aufstehen wollte. „Bleiben Sie sitzen,“ sagte K. und zog einen Sessel neben ihn. „Sind Sie schon ein alter Klient des Advokaten?“ fragte K. „Ja,“ sagte der Kaufmann, „ein sehr alter Klient.“ „Wieviel Jahre vertritt er Sie denn schon?“ fragte K. „Ich weiß nicht, wie Sie es meinen,“ sagte der Kaufmann, „in geschäftlichen Rechtsangelegenheiten — ich habe ein Getreidegeschäft — vertritt mich der Advokat schon seitdem ich das Geschäft übernommen habe, also etwa seit 20 Jahren, in meinem eigenen Prozeß, auf den Sie wahrscheinlich anspielen, vertritt er mich auch seit Beginn, es ist schon länger als 5 Jahre. Ja, weit über 5 Jahre,“ fügte er dann hinzu und zog eine alte Brieftasche hervor, „hier habe ich alles aufgeschrieben; wenn Sie wollen, sage ich Ihnen die genauen Daten. Es ist schwer, alles zu behalten. Mein Prozeß dauert wahrscheinlich schon viel länger, er begann kurz nach dem Tod meiner Frau und das ist schon länger als 5½ Jahre.“ K. rückte näher zu ihm. „Der Advokat übernimmt also auch gewöhnliche Rechtssachen?“ fragte er. Diese Verbindung der Geschäfte und Rechtswissenschaften schien K. ungemein beruhigend. „Gewiß,“ sagte der Kaufmann und flüsterte dann K. zu: „Man sagt sogar, daß er in diesen Rechtssachen tüchtiger ist, als in den andern.“ Aber dann schien er das Gesagte zu bereuen, er legte K. eine Hand auf die Schulter und sagte: „Ich bitte Sie sehr, verraten Sie mich nicht.“ K. klopfte ihm zur Beruhigung auf den Schenkel und sagte: „Nein, ich bin kein Verräter.“ „Er ist nämlich rachsüchtig,“ sagte der Kaufmann. „Gegen einen so treuen Klienten wird er gewiß nichts tun,“ sagte K. „O doch,“ sagte der Kaufmann, „wenn er aufgeregt ist, kennt er keine Unterschiede, übrigens bin ich ihm nicht eigentlich treu.“ „Wieso denn nicht?“ fragte K. „Soll ich es Ihnen anvertrauen,“ fragte der Kaufmann zweifelnd. „Ich denke, Sie dürfen es,“ sagte K. „Nun,“ sagte der Kaufmann, „ich werde es Ihnen zum Teil anvertrauen, Sie müssen mir aber auch ein Geheimnis sagen, damit wir uns gegenüber dem Advokaten gegenseitig festhalten.“ „Sie sind sehr vorsichtig,“ sagte K., „aber ich werde Ihnen ein Geheimnis sagen, das Sie vollständig beruhigen wird. Worin besteht also Ihre Untreue gegenüber dem Advokaten?“ „Ich habe,“ sagte der Kaufmann zögernd und in einem Ton, als gestehe er etwas Unehrenhaftes ein, „ich habe außer ihm noch andere Advokaten.“ „Das ist doch nichts so Schlimmes,“ sagte K. ein wenig enttäuscht. „Hier ja,“ sagte der Kaufmann, der noch seit seinem Geständnis schwer atmete, infolge K.s Bemerkung aber mehr Vertrauen faßte. „Es ist nicht erlaubt. Und am allerwenigsten ist es erlaubt, neben einem sogenannten Advokaten auch noch Winkeladvokaten zu nehmen. Und gerade das habe ich getan, ich habe außer ihm noch fünf Winkeladvokaten.“ „Fünf!“ rief K., erst die Zahl setzte ihn in Erstaunen, „fünf Advokaten außer diesem?“ Der Kaufmann nickte: „Ich verhandle gerade noch mit einem sechsten.“ „Aber wozu brauchen Sie denn so viel Advokaten,“ fragte K. „Ich brauche alle,“ sagte der Kaufmann. „Wollen Sie mir das nicht erklären?“ fragte K. „Gern,“ sagte der Kaufmann. „Vor allem will ich doch meinen Prozeß nicht verlieren, das ist doch selbstverständlich. Infolgedessen darf ich nichts, was mir nützen könnte, außer acht lassen; selbst wenn die Hoffnung auf Nutzen in einem bestimmten Falle nur ganz gering ist, darf ich sie nicht verwerfen. Ich habe deshalb alles, was ich besitze, auf den Prozeß verwendet. So habe ich z. B. alles Geld meinem Geschäft entzogen, früher füllten die Bureauräume meines Geschäfts fast ein Stockwerk, heute genügt eine kleine Kammer im Hinterhaus, wo ich mit einem Lehrjungen arbeite. Diesen Rückgang hatte natürlich nicht nur die Entziehung des Geldes verschuldet, sondern mehr noch die Entziehung meiner Arbeitskraft. Wenn man für seinen Prozeß etwas tun will, kann man sich mit anderem nur wenig befassen.“ „Sie arbeiten also noch selbst bei Gericht,“ fragte K. „Gerade darüber möchte ich gern etwas erfahren.“ „Darüber kann ich nur wenig berichten,“ sagte der Kaufmann, „anfangs habe ich es wohl auch versucht, aber ich habe bald wieder davon abgelassen. Es ist zu erschöpfend und bringt nicht viel Erfolg. Selbst dort zu arbeiten und zu unterhandeln hat sich wenigstens für mich als ganz unmöglich erwiesen. Es ist ja dort schon das bloße Sitzen und Warten eine große Anstrengung. Sie kennen ja selbst die schwere Luft in den Kanzleien.“ „Wieso wissen Sie denn, daß ich dort war?“ fragte K. „Ich war gerade im Wartezimmer, als Sie durchgingen.“ „Was für ein Zufall das ist!“ rief K. ganz hingenommen und die frühere Lächerlichkeit des Kaufmanns ganz vergessend, „Sie haben mich also gesehn! Sie waren im Wartezimmer, als ich durchging. Ja, ich bin dort einmal durchgegangen.“ „Es ist kein so großer Zufall,“ sagte der Kaufmann, „ich bin dort fast jeden Tag.“ „Ich werde nun wahrscheinlich auch öfters hingehn müssen,“ sagte K., „nur werde ich wohl kaum mehr so ehrenvoll aufgenommen werden wie damals. Alle standen auf. Man dachte wohl, ich sei ein Richter.“ „Nein,“ sagte der Kaufmann, „wir grüßten damals den Gerichtsdiener. Daß Sie ein Angeklagter sind, das wußten wir. Solche Nachrichten verbreiten sich sehr rasch.“ „Das wußten Sie also schon,“ sagte K., „dann erschien Ihnen aber mein Benehmen vielleicht hochmütig. Sprach man sich nicht darüber aus?“ „Nein,“ sagte der Kaufmann, „im Gegenteil. Aber das sind Dummheiten.“ „Was für Dummheiten denn?“ fragte K. „Warum fragen Sie danach?“ sagte der Kaufmann ärgerlich. „Sie scheinen die Leute dort noch nicht zu kennen und werden es vielleicht unrichtig auffassen. Sie müssen bedenken, daß in diesem Verfahren immer wieder viele Dinge zur Sprache kommen, für die der Verstand nicht mehr ausreicht, man ist einfach zu müde und abgelenkt für vieles und zum Ersatz verlegt man sich auf den Aberglauben. Ich rede von den andern, bin aber selbst gar nicht besser. Ein solcher Aberglaube ist es z. B., daß viele aus dem Gesicht des Angeklagten, insbesondere aus der Zeichnung der Lippen den Ausgang des Prozesses erkennen wollen. Diese Leute also haben behauptet, Sie würden, nach Ihren Lippen zu schließen, gewiß und bald verurteilt werden. Ich wiederhole, es ist ein lächerlicher Aberglaube und in den meisten Fällen durch die Tatsachen auch vollständig widerlegt, aber wenn man in jener Gesellschaft lebt, ist es schwer, sich solchen Meinungen zu entziehen. Denken Sie nur, wie stark dieser Aberglaube wirken kann. Sie haben doch einen dort angesprochen, nicht? Er konnte Ihnen aber kaum antworten. Es gibt natürlich viele Gründe, um dort verwirrt zu sein, aber einer davon war auch der Anblick Ihrer Lippen. Er hat später erzählt, er hätte auf Ihren Lippen auch das Zeichen seiner eigenen Verurteilung zu sehen geglaubt.“ „Meine Lippen?“ fragte K., zog einen Taschenspiegel hervor und sah sich an. „Ich kann an meinen Lippen nichts Besonderes erkennen. Und Sie?“ „Ich auch nicht,“ sagte der Kaufmann, „ganz und gar nicht.“ „Wie abergläubisch diese Leute sind,“ rief K. aus. „Sagte ich es nicht?“ fragte der Kaufmann. „Verkehren sie denn so viel untereinander und tauschen sie ihre Meinungen aus?“ sagte K. „Ich habe mich bisher ganz abseits gehalten.“ „Im allgemeinen verkehren sie nicht miteinander,“ sagte der Kaufmann, „das wäre nicht möglich, es sind ja so viele. Es gibt auch wenig gemeinsame Interessen. Wenn manchmal in einer Gruppe der Glaube an ein gemeinsames Interesse auftaucht, so erweist er sich bald als ein Irrtum. Gemeinsam läßt sich gegen das Gericht nichts durchsetzen. Jeder Fall wird für sich untersucht, es ist ja das sorgfältigste Gericht. Gemeinsam kann man also nichts durchsetzen, nur ein einzelner erreicht manchmal etwas im Geheimen; erst wenn es erreicht ist, erfahren es die andern; keiner weiß, wie es geschehen ist. Es gibt also keine Gemeinsamkeit, man kommt zwar hie und da in den Wartezimmern zusammen, aber dort wird wenig besprochen. Die abergläubischen Meinungen bestehen schon seit altersher und vermehren sich förmlich von selbst.“ „Ich sah die Herren dort im Wartezimmer,“ sagte K., „ihr Warten kam mir so nutzlos vor.“ „Das Warten ist nicht nutzlos,“ sagte der Kaufmann, „nutzlos ist nur das selbständige Eingreifen. Ich sagte schon, daß ich jetzt außer diesem noch fünf Advokaten habe. Man sollte doch glauben — ich selbst glaubte es zuerst — jetzt könnte ich ihnen die Sache vollständig überlassen. Das wäre aber ganz falsch. Ich kann sie ihnen weniger überlassen, als wenn ich nur einen hätte. Sie verstehn das wohl nicht?“ „Nein,“ sagte K. und legte, um den Kaufmann an seinen allzu schnellen Reden zu hindern, die Hand beruhigend auf seine Hand, „ich möchte Sie nur bitten, ein wenig langsamer zu reden, es sind doch lauter für mich sehr wichtige Dinge und ich kann ihnen nicht recht folgen.“ „Gut, daß Sie mich daran erinnern,“ sagte der Kaufmann, „Sie sind ja ein Neuer, ein Junger. Ihr Prozeß ist ein halbes Jahr alt, nicht wahr? Ja, ich habe davon gehört. Ein so junger Prozeß! Ich aber habe diese Dinge schon unzähligemal durchgedacht, sie sind mir das Selbstverständlichste auf der Welt.“ „Sie sind wohl froh, daß Ihr Prozeß schon so weit fortgeschritten ist?“ fragte K., er wollte nicht geradezu fragen wie die Angelegenheiten des Kaufmanns stünden. Er bekam aber auch keine deutliche Antwort. „Ja, ich habe meinen Prozeß fünf Jahre lang fortgewälzt,“ sagte der Kaufmann und senkte den Kopf, „es ist keine kleine Leistung.“ Dann schwieg er ein Weilchen. K. horchte, ob Leni nicht schon komme. Einerseits wollte er nicht, daß sie komme, denn er hatte noch vieles zu fragen und wollte auch nicht von Leni in diesem vertraulichen Gespräch mit dem Kaufmann angetroffen werden, andererseits aber ärgerte er sich darüber, daß sie trotz seiner Anwesenheit solange beim Advokaten blieb, viel länger, als zum Reichen der Suppe nötig war. „Ich erinnere mich noch genau an diese Zeit,“ begann der Kaufmann wieder und K. war gleich voll Aufmerksamkeit, „als mein Prozeß etwa so alt war wie jetzt Ihr Prozeß. Ich hatte damals nur diesen Advokaten, war aber nicht sehr mit ihm zufrieden.“ Hier erfahre ich ja alles, dachte K. und nickte lebhaft mit dem Kopf, als könne er dadurch den Kaufmann aufmuntern, alles Wissenswerte zu sagen. „Mein Prozeß,“ fuhr der Kaufmann fort, „kam nicht vorwärts, es fanden zwar Untersuchungen statt, ich kam auch zu jeder, sammelte Material, erlegte alle meine Geschäftsbücher bei Gericht, was, wie ich später erfuhr, nicht einmal nötig war, ich lief immer wieder zum Advokaten, er brachte auch verschiedene Eingaben ein —.“ „Verschiedene Eingaben?“ fragte K. „Ja, gewiß,“ sagte der Kaufmann. „Das ist mir sehr wichtig,“ sagte K., „in meinem Fall arbeitet er noch immer an der ersten Eingabe. Er hat noch nichts getan. Ich sehe jetzt, er vernachlässigt mich schändlich.“ „Daß die Eingabe noch nicht fertig ist, kann verschiedene berechtigte Gründe haben,“ sagte der Kaufmann. „Übrigens hatte es sich bei meinen Eingaben später gezeigt, daß sie ganz wertlos waren. Ich habe sogar eine durch das Entgegenkommen eines Gerichtsbeamten selbst gelesen. Sie war zwar gelehrt, aber eigentlich inhaltslos. Vor allem sehr viel Latein, das ich nicht verstehe, dann seitenlange allgemeine Anrufungen des Gerichtes, dann Schmeicheleien für einzelne bestimmte Beamte, die zwar nicht genannt waren, die aber ein Eingeweihter jedenfalls erraten mußte, dann Selbstlob des Advokaten, wobei er sich auf geradezu hündische Weise vor dem Gericht demütigte, und endlich Untersuchungen von Rechtsfällen aus alter Zeit, die dem meinigen ähnlich sein sollten. Diese Untersuchungen waren allerdings, soweit ich ihnen folgen konnte, sehr sorgfältig gemacht. Ich will auch mit diesem allen kein Urteil über die Arbeit des Advokaten abgeben, auch war die Eingabe, die ich gelesen habe, nur eine unter mehreren, jedenfalls aber, und davon will ich jetzt sprechen, konnte ich damals in meinem Prozeß keinen Fortschritt sehn.“ „Was für einen Fortschritt wollten Sie denn sehn?“ fragte K. „Sie fragen ganz vernünftig,“ sagte der Kaufmann lächelnd, „man kann in diesem Verfahren nur selten Fortschritte sehn. Aber damals wußte ich das nicht. Ich bin Kaufmann und war es damals noch viel mehr als heute, ich wollte greifbare Fortschritte haben, das Ganze sollte sich zum Ende neigen oder wenigstens den regelrechten Aufstieg nehmen. Statt dessen gab es nur Einvernehmungen, die meist den gleichen Inhalt hatten; die Antworten hatte ich schon bereit wie eine Litanei; mehrmals in der Woche kamen Gerichtsboten in mein Geschäft, in meine Wohnung oder wo sie mich sonst antreffen konnten, das war natürlich störend (heute ist es wenigstens in dieser Hinsicht viel besser, der telephonische Anruf stört mich weniger), auch unter meinen Geschäftsfreunden, insbesondere aber unter meinen Verwandten, fingen Gerüchte von meinem Prozeß sich zu verbreiten an, Schädigungen gab es also von allen Seiten, aber nicht das geringste Anzeichen sprach dafür, daß auch nur die erste Gerichtsverhandlung in der nächsten Zeit stattfinden würde. Ich ging also zum Advokaten und beklagte mich. Er gab mir zwar lange Erklärungen, lehnte es aber entschieden ab, etwas in meinem Sinne zu tun, niemand habe Einfluß auf die Festsetzung der Verhandlung, in einer Eingabe darauf zu dringen — wie ich es verlangte — sei einfach unerhört und würde mich und ihn verderben. Ich dachte: was dieser Advokat nicht will oder kann, wird ein anderer wollen und können. Ich sah mich also nach andern Advokaten um. Ich will es gleich vorwegnehmen: keiner hat die Festsetzung der Hauptverhandlung verlangt oder durchgesetzt, es ist, allerdings mit einem Vorbehalt, von dem ich noch sprechen werde, wirklich unmöglich, hinsichtlich dieses Punktes hat mich also dieser Advokat nicht getäuscht; im übrigen aber hatte ich es nicht zu bedauern, mich noch an andere Advokaten gewendet zu haben. Sie dürften wohl von Dr. Huld auch schon manches über die Winkeladvokaten gehört haben, er hat sie Ihnen wahrscheinlich als sehr verächtlich dargestellt und das sind sie wirklich. Allerdings unterläuft ihm immer, wenn er von ihnen spricht und sich und seine Kollegen zu ihnen in Vergleich setzt, ein kleiner Fehler, auf den ich Sie ganz nebenbei auch aufmerksam machen will. Er nennt dann immer die Advokaten seines Kreises zur Unterscheidung die „großen Advokaten“. Das ist falsch, es kann sich natürlich jeder „groß“ nennen, wenn es ihm beliebt, in diesem Fall aber entscheidet doch nur der Gerichtsgebrauch. Nach diesem gibt es nämlich außer den Winkeladvokaten noch kleine und große Advokaten. Dieser Advokat und seine Kollegen sind jedoch nur die kleinen Advokaten, die großen Advokaten aber, von denen ich nur gehört und die ich nie gesehn habe, stehen im Rang unvergleichlich höher über den kleinen Advokaten, als diese über den verachteten Winkeladvokaten.“ „Die großen Advokaten?“ fragte K. „Wer sind denn die? Wie kommt man zu ihnen?“ „Sie haben also noch nie von ihnen gehört,“ sagte der Kaufmann. „Es gibt kaum einen Angeklagten, der nicht, nachdem er von ihnen erfahren hat, eine Zeit lang von ihnen träumen würde. Lassen Sie sich lieber nicht dazu verführen. Wer die großen Advokaten sind, weiß ich nicht, und zu ihnen kommen kann man wohl gar nicht. Ich kenne keinen Fall, von dem sich mit Bestimmtheit sagen ließe, daß sie eingegriffen hätten. Manchen verteidigen sie, aber durch eigenen Willen kann man das nicht erreichen, sie verteidigen nur den, den sie verteidigen wollen. Die Sache, deren sie sich annehmen, muß aber wohl über das niedrige Gericht schon hinausgekommen sein. Im übrigen ist es besser, nicht an sie zu denken, denn sonst kommen einem die Besprechungen mit den andern Advokaten, deren Ratschläge und deren Hilfeleistungen so widerlich und nutzlos vor, ich habe es selbst erfahren, daß man am liebsten alles wegwerfen, sich zu Hause ins Bett legen und von nichts mehr hören wollte. Das wäre aber natürlich wieder das Dümmste, auch hätte man im Bett nicht lange Ruhe.“ „Sie dachten damals also nicht an die großen Advokaten?“ fragte K. „Nicht lange,“ sagte der Kaufmann und lächelte wieder, „vollständig vergessen kann man sie leider nicht, besonders die Nacht ist solchen Gedanken günstig. Aber damals wollte ich ja sofortige Erfolge, ich ging daher zu den Winkeladvokaten.“

„Wie Ihr hier beieinander sitzt,“ rief Leni, die mit der Tasse zurückgekommen war und in der Tür stehenblieb. Sie saßen wirklich eng beisammen, bei der kleinsten Wendung mußten sie mit den Köpfen aneinanderstoßen, der Kaufmann, der abgesehen von seiner Kleinheit auch noch den Rücken gekrümmt hielt, hatte K. gezwungen, sich auch tief zu bücken, wenn er alles hören wollte. „Noch ein Weilchen,“ rief K. Leni abwehrend zu und zuckte ungeduldig mit der Hand, die er noch immer auf des Kaufmanns Hand liegen hatte. „Er wollte, daß ich ihm von meinem Prozeß erzähle,“ sagte der Kaufmann zu Leni. „Erzähle nur, erzähle,“ sagte diese. Sie sprach mit dem Kaufmann liebevoll, aber doch auch herablassend. K. gefiel das nicht; wie er jetzt erkannt hatte, hatte der Mann doch einen gewissen Wert, zunächst hatte er Erfahrungen, die er gut mitzuteilen verstand. Leni beurteilte ihn wahrscheinlich unrichtig. Er sah ärgerlich zu, als Leni jetzt dem Kaufmann die Kerze, die er die ganze Zeit über festgehalten hatte, abnahm, ihm die Hand mit ihrer Schürze abwischte und dann neben ihm niederkniete, um etwas Wachs wegzukratzen, das von der Kerze auf seine Hose getropft war. „Sie wollten mir von den Winkeladvokaten erzählen,“ sagte K. und schob ohne eine weitere Bemerkung Lenis Hand weg. „Was willst du denn?“ fragte Leni, schlug leicht nach K. und setzte ihre Arbeit fort. „Ja, von den Winkeladvokaten,“ sagte der Kaufmann und fuhr sich über die Stirn, als denke er nach. K. wollte ihm nachhelfen und sagte: „Sie wollten sofortige Erfolge haben und gingen deshalb zu den Winkeladvokaten.“ „Ganz richtig,“ sagte der Kaufmann, setzte aber nicht fort. „Er will vielleicht vor Leni nicht davon sprechen,“ dachte K., bezwang seine Ungeduld, das Weitere gleich jetzt zu hören und drang nun nicht mehr weiter in ihn.

„Hast du mich angemeldet?“ fragte er Leni. „Natürlich,“ sagte diese, „er wartet auf dich. Laß’ jetzt Block, mit Block kannst du auch später reden, er bleibt doch hier.“ K. zögerte noch. „Sie bleiben hier?“ fragte er den Kaufmann, er wollte seine eigene Antwort, er wollte nicht, daß Leni vom Kaufmann wie von einem Abwesenden sprach, er war heute gegen Leni voll geheimen Ärgers. Und wieder antwortete nur Leni: „Er schläft hier öfters.“ „Schläft hier?“ rief K., er hatte gedacht, der Kaufmann werde hier nur auf ihn warten, während er die Unterredung mit dem Advokaten rasch erledigen würde, dann aber würden sie gemeinsam fortgehn und alles gründlich und ungestört besprechen. „Ja,“ sagte Leni, „nicht jeder wird wie du, Josef, zu beliebiger Stunde beim Advokaten vorgelassen. Du scheinst dich ja gar nicht darüber zu wundern, daß dich der Advokat trotz seiner Krankheit noch um 11 Uhr nachts empfängt. Du nimmst das, was deine Freunde für dich tun, doch als gar zu selbstverständlich an. Nun, deine Freunde oder zunächst ich, tun es gerne. Ich will keinen andern Dank und brauche auch keinen andern, als daß du mich lieb hast.“ „Dich liebhaben?“ dachte K. im ersten Augenblick, erst dann ging es ihm durch den Kopf: „Nun ja, ich habe sie lieb.“ Trotzdem sagte er, alles andere vernachlässigend: „Er empfängt mich, weil ich sein Klient bin. Wenn auch dafür noch fremde Hilfe nötig wäre, müßte man bei jedem Schritt immer gleichzeitig betteln und danken.“ „Wie schlimm er heute ist, nicht?“ fragte Leni den Kaufmann. „Jetzt bin ich der Abwesende,“ dachte K. und wurde fast sogar auf den Kaufmann böse, als dieser die Unhöflichkeit Lenis übernehmend sagte: „Der Advokat empfängt ihn auch noch aus andern Gründen. Sein Fall ist nämlich interessanter als der meine. Außerdem aber ist sein Prozeß in den Anfängen, also wahrscheinlich noch nicht sehr verfahren, da beschäftigt sich der Advokat noch gern mit ihm. Später wird das anders werden.“ „Ja, ja,“ sagte Leni und sah den Kaufmann lachend an, „wie er schwatzt! Ihm darfst du nämlich,“ hierbei wandte sie sich an K., „gar nichts glauben. So lieb er ist, so geschwätzig ist er. Vielleicht mag ihn der Advokat auch deshalb nicht leiden. Jedenfalls empfängt er ihn nur, wenn er in Laune ist. Ich habe mir schon viel Mühe gegeben, das zu ändern, aber es ist unmöglich. Denke nur, manchmal melde ich Block an, er empfängt ihn aber erst am dritten Tag nachher. Ist Block aber zu der Zeit, wenn er vorgerufen wird, nicht zur Stelle, so ist alles verloren und er muß von neuem angemeldet werden. Deshalb habe ich Block erlaubt, hier zu schlafen, es ist ja schon vorgekommen, daß er in der Nacht um ihn geläutet hat. Jetzt ist also Block auch in der Nacht bereit. Allerdings geschieht es jetzt wieder, daß der Advokat, wenn sich zeigt, daß Block da ist, seinen Auftrag, ihn vorzulassen, manchmal widerruft.“ K. sah fragend zum Kaufmann hin. Dieser nickte und sagte, so offen wie er früher mit K. gesprochen hatte, vielleicht war er zerstreut vor Beschämung: „Ja, man wird später sehr abhängig von seinem Advokaten.“ „Er klagt ja nur zum Schein,“ sagte Leni. „Er schläft hier sehr gern, wie er mir schon oft gestanden hat.“ Sie ging zu einer kleinen Tür und stieß sie auf. „Willst du sein Schlafzimmer sehn?“ fragte sie K., ging hin und sah von der Schwelle aus in den niedrigen fensterlosen Raum, der von einem schmalen Bett vollständig ausgefüllt war. In dieses Bett mußte man über den Bettpfosten steigen. Am Kopfende des Bettes war eine Vertiefung in der Mauer, dort standen peinlich geordnet eine Kerze, Tintenfaß und Feder, sowie ein Bündel Papiere, wahrscheinlich Prozeßschriften. „Sie schlafen im Dienstmädchenzimmer?“ fragte K. und wendete sich zum Kaufmann zurück. „Leni hat es mir eingeräumt,“ antwortete der Kaufmann, „es ist sehr vorteilhaft.“ K. sah ihn lange an; der erste Eindruck, den er von dem Kaufmann erhalten hatte, war vielleicht doch der richtige gewesen; Erfahrungen hatte er, denn sein Prozeß dauerte schon lange, aber er hatte diese Erfahrungen teuer bezahlt. Plötzlich ertrug K. den Anblick des Kaufmanns nicht mehr. „Bring ihn doch ins Bett,“ rief er Leni zu, die ihn gar nicht zu verstehen schien. Er selbst aber wollte zum Advokaten gehn und durch die Kündigung sich nicht nur vom Advokaten, sondern auch von Leni und dem Kaufmann befreien. Aber noch ehe er zur Tür gekommen war, sprach ihn der Kaufmann mit leiser Stimme an: „Herr Prokurist,“ K. wandte sich mit bösem Gesichte um. „Sie haben Ihr Versprechen vergessen,“ sagte der Kaufmann und streckte sich von seinem Sitz aus bittend K. entgegen. „Sie wollten mir auch ein Geheimnis sagen. „Wahrhaftig,“ sagte K. und streifte auch Leni, die ihn aufmerksam ansah mit einem Blick, „also hören Sie: es ist allerdings fast kein Geheimnis mehr. Ich gehe jetzt zum Advokaten, um ihn zu entlassen.“ „Er entläßt ihn,“ rief der Kaufmann, sprang vom Sessel und lief mit erhobenen Armen in der Küche umher. Immer wieder rief er: „Er entläßt den Advokaten.“ Leni wollte gleich auf K. losfahren, aber der Kaufmann kam ihr in den Weg, wofür sie ihm mit den Fäusten einen Hieb gab. Noch mit den zu Fäusten geballten Händen lief sie dann hinter K., der aber einen großen Vorsprung hatte. Er war schon in das Zimmer des Advokaten eingetreten, als ihn Leni einholte. Die Tür hatte er hinter sich fest geschlossen, aber Leni, die mit dem Fuß den Türflügel offenhielt, faßte ihn beim Arm und wollte ihn zurückziehen. Aber er drückte ihr Handgelenk so stark, daß sie ihn unter einem Seufzer loslassen mußte. Ins Zimmer einzutreten wagte sie nicht gleich, K. aber versperrte die Tür mit dem Schlüssel.

„Ich warte schon sehr lange auf Sie,“ sagte der Advokat vom Bett aus, legte ein Schriftstück, das er beim Licht einer Kerze gelesen hatte, auf das Nachttischchen und setzte sich eine Brille auf, mit der er K. scharf ansah. Statt sich zu entschuldigen, sagte K.: „Ich gehe bald wieder weg.“ Der Advokat hatte K.s Bemerkung, weil sie keine Entschuldigung war, unbeachtet gelassen und sagte: „Ich werde Sie nächstens zu dieser späten Stunde nicht mehr vorlassen.“ „Das kommt meinem Anliegen entgegen,“ sagte K. Der Advokat sah ihn fragend an. „Setzen Sie sich,“ sagte er. „Weil Sie es wünschen“, sagte K., zog einen Sessel zum Nachttischchen und setzte sich. „Es schien mir, daß Sie die Tür abgesperrt haben,“ sagte der Advokat. „Ja,“ sagte K., „es war Lenis wegen.“ Er hatte nicht die Absicht, irgend jemanden zu schonen. Aber der Advokat fragte: „War sie wieder zudringlich?“ „Zudringlich?“ fragte K. „Ja,“ sagte der Advokat, er lachte dabei, bekam einen Hustenanfall und begann, nachdem dieser vergangen war, wieder zu lachen. „Sie haben doch wohl ihre Zudringlichkeit schon bemerkt,“ fragte er und klopfte K. auf die Hand, die dieser zerstreut auf das Nachttischchen gestützt hatte und die er jetzt rasch zurückzog. „Sie legen dem nicht viel Bedeutung bei,“ sagte der Advokat, als K. schwieg, „desto besser. Sonst hätte ich mich vielleicht bei Ihnen entschuldigen müssen. Es ist eine Sonderbarkeit Lenis, die ich ihr übrigens längst verziehen habe und von der ich auch nicht reden würde, wenn Sie nicht eben jetzt die Tür abgesperrt hätten. Diese Sonderbarkeit, Ihnen allerdings müßte ich sie wohl am wenigstens erklären, aber Sie sehen mich so bestürzt an und deshalb tue ich es, diese Sonderbarkeit besteht darin, daß Leni die meisten Angeklagten schön findet. Sie hängt sich an alle, liebt alle, scheint allerdings auch von allen geliebt zu werden; um mich zu unterhalten, erzählt sie mir dann, wenn ich es erlaube, manchmal davon. Ich bin über das Ganze nicht so erstaunt wie Sie es zu sein scheinen. Wenn man den richtigen Blick dafür hat, findet man die Angeklagten wirklich oft schön. Das allerdings ist eine merkwürdige, gewissermaßen naturwissenschaftliche Erscheinung. Es tritt natürlich als Folge der Anklage nicht etwa eine deutliche, genau zu bestimmende Veränderung des Aussehens ein. Es ist doch nicht wie in andern Gerichtssachen, die meisten bleiben in ihrer gewöhnlichen Lebensweise und werden, wenn sie einen guten Advokaten haben, der für sie sorgt, durch den Prozeß nicht sehr behindert. Trotzdem sind diejenigen, welche darin Erfahrung haben, imstande, aus der größten Menge die Angeklagten Mann für Mann zu erkennen. Woran? werden Sie fragen. Meine Antwort wird Sie nicht befriedigen. Die Angeklagten sind eben die Schönsten. Es kann nicht die Schuld sein, die sie schön macht, denn — so muß wenigstens ich als Advokat sprechen — es sind doch nicht alle schuldig, es kann auch nicht die richtige Strafe sein, die sie jetzt schon schön macht, denn es werden doch nicht alle bestraft, es kann also nur an dem gegen sie erhobenen Verfahren liegen, das ihnen irgendwie anhaftet. Allerdings gibt es unter den Schönen auch besonders Schöne. Schön sind aber alle, selbst Block, dieser elende Wurm.“

K. war, als der Advokat geendet hatte, vollständig gefaßt, er hatte sogar zu den letzten Worten auffallend genickt und sich so selbst die Bestätigung seiner alten Ansicht gegeben, nach welcher der Advokat ihn immer und so auch diesmal durch allgemeine Mitteilungen, die nicht zur Sache gehörten, zu zerstreuen und von der Hauptfrage, was er an tatsächlicher Arbeit für K.s Sache getan hatte, abzulenken suchte. Der Advokat merkte wohl, daß ihm K. diesmal mehr Widerstand leistete als sonst, denn er verstummte jetzt, um K. die Möglichkeit zu geben, selbst zu sprechen, und fragte dann, da K. stumm blieb: „Sind Sie heute mit einer bestimmten Absicht zu mir gekommen?“ „Ja,“ sagte K. und blendete mit der Hand ein wenig die Kerze ab, um den Advokaten besser zu sehn, „ich wollte Ihnen sagen, daß ich Ihnen mit dem heutigen Tage meine Vertretung entziehe.“ „Verstehe ich Sie recht,“ fragte der Advokat, erhob sich halb im Bett und stützte sich mit einer Hand auf die Kissen. „Ich nehme es an,“ sagte K., der straff aufgerichtet wie auf der Lauer dasaß. „Nun, wir können ja auch diesen Plan besprechen,“ sagte der Advokat nach einem Weilchen. „Es ist kein Plan mehr,“ sagte K. „Mag sein,“ sagte der Advokat, „wir wollen aber trotzdem nichts übereilen.“ Er gebrauchte das Wort „wir“, als habe er nicht die Absicht, K. freizulassen und als wolle er, wenn er schon nicht sein Vertreter sein dürfe, wenigstens sein Berater bleiben. „Es ist nicht übereilt,“ sagte K., stand langsam auf und trat hinter seinen Sessel, „es ist gut überlegt und vielleicht sogar zu lange. Der Entschluß ist endgültig.“ „Dann erlauben Sie mir nur noch einige Worte,“ sagte der Advokat, hob das Federbett weg und setzte sich auf den Bettrand. Seine nackten weißhaarigen Beine zitterten vor Kälte. Er bat K., ihm vom Kanapee eine Decke zu reichen. K. holte die Decke und sagte: „Sie setzen sich ganz unnötig einer Verkühlung aus.“ „Der Anlaß ist wichtig genug,“ sagte der Advokat, während er den Oberkörper mit dem Federbett umhüllte und dann die Beine in die Decke einwickelte. „Ihr Onkel ist mein Freund und auch Sie sind mir im Laufe der Zeit lieb geworden. Ich gestehe das offen ein. Ich brauche mich dessen nicht zu schämen.“ Diese rührseligen Reden des alten Mannes waren K. sehr unwillkommen, denn sie zwangen ihn zu einer ausführlicheren Erklärung, die er gern vermieden hätte, und sie beirrten ihn außerdem, wie er sich offen eingestand, wenn sie allerdings auch seinen Entschluß niemals rückgängig machen konnten. „Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Gesinnung,“ sagte er, „ich erkenne auch an, daß Sie sich meiner Sache so sehr angenommen haben, wie es Ihnen möglich ist und wie es Ihnen für mich vorteilhaft scheint. Ich jedoch habe in der letzten Zeit die Überzeugung gewonnen, daß das nicht genügend ist. Ich werde natürlich niemals versuchen, Sie, einen so viel älteren und erfahreneren Mann von meiner Ansicht überzeugen zu wollen; wenn ich es manchmal unwillkürlich versucht habe, so verzeihen Sie mir, die Sache aber ist, wie Sie sich selbst ausdrückten, wichtig genug, und es ist meiner Überzeugung nach notwendig, viel kräftiger in den Prozeß einzugreifen, als es bisher geschehen ist.“ „Ich verstehe Sie,“ sagte der Advokat, „Sie sind ungeduldig.“ „Ich bin nicht ungeduldig,“ sagte K. ein wenig gereizt und achtete nicht mehr so viel auf seine Worte. „Sie dürften bei meinem ersten Besuch, als ich mit meinem Onkel zu Ihnen kam, bemerkt haben, daß mir an dem Prozeß nicht viel lag; wenn man mich nicht gewissermaßen gewaltsam an ihn erinnerte, vergaß ich ihn vollständig. Aber mein Onkel bestand darauf, daß ich Ihnen meine Vertretung übergebe, ich tat es, um ihm gefällig zu sein. Und nun hätte man doch erwarten sollen, daß mir der Prozeß noch leichter fallen würde als bis dahin, denn man übergibt doch dem Advokaten die Vertretung, um die Last des Prozesses ein wenig von sich abzuwälzen. Es geschah aber das Gegenteil. Niemals früher hatte ich so große Sorgen wegen des Prozesses wie seit der Zeit, seitdem Sie mich vertreten. Als ich allein war, unternahm ich nichts in meiner Sache, aber ich fühlte es kaum, jetzt dagegen hatte ich einen Vertreter, alles war dafür eingerichtet, daß etwas geschehe, unaufhörlich und immer gespannter erwartete ich Ihr Eingreifen, aber es blieb aus. Ich bekam von Ihnen allerdings verschiedene Mitteilungen über das Gericht, die ich vielleicht von niemandem sonst hätte bekommen können. Aber das kann mir nicht genügen, wenn mir jetzt der Prozeß förmlich im Geheimen immer näher an den Leib rückt.“ K. hatte den Sessel von sich gestoßen und stand, die Hände in den Rocktaschen, aufrecht da. „Von einem gewissen Zeitpunkt der Praxis an,“ sagte der Advokat leise und ruhig, „ereignet sich nichts wesentlich Neues mehr. Wie viele Parteien sind in ähnlichen Stadien der Prozesse ähnlich wie Sie vor mir gestanden und haben ähnlich gesprochen.“ „Dann haben,“ sagte K., „alle diese ähnlichen Parteien ebenso recht gehabt wie ich. Das widerlegt mich gar nicht.“ „Ich wollte Sie damit nicht widerlegen,“ sagte der Advokat, „ich wollte aber noch hinzufügen, daß ich bei Ihnen mehr Urteilskraft erwartet hätte als bei andern, besonders da ich Ihnen mehr Einblick in das Gerichtswesen und in meine Tätigkeit gegeben habe, als ich es sonst Parteien gegenüber tue. Und nun muß ich sehn, daß Sie trotz allem nicht genügend Vertrauen zu mir haben. Sie machen es mir nicht leicht.“ Wie sich der Advokat vor K. demütigte! Ohne jede Rücksicht auf die Standesehre, die gewiß gerade in diesem Punkte am empfindlichsten ist. Und warum tat er das? Er war doch dem Anschein nach ein vielbeschäftigter Advokat und überdies ein reicher Mann, es konnte ihm an und für sich weder an dem Verdienstentgang noch an dem Verlust eines Klienten viel liegen. Außerdem war er kränklich und hätte selbst darauf bedacht sein sollen, daß ihm Arbeit abgenommen werde. Und trotzdem hielt er K. so fest! Warum? War es persönliche Anteilnahme für den Onkel oder sah er K.s Prozeß wirklich für so außerordentlich an und hoffte sich darin auszuzeichnen entweder für K. oder — diese Möglichkeit war eben niemals auszuschließen — für die Freunde beim Gericht? An ihm selbst war nichts zu erkennen, so rücksichtslos prüfend ihn auch K. ansah. Man hätte fast annehmen können, er warte mit absichtlich verschlossener Miene die Wirkung seiner Worte ab. Aber er deutete offenbar das Schweigen K.s für sich allzu günstig, wenn er jetzt fortfuhr: „Sie werden bemerkt haben, daß ich zwar eine große Kanzlei habe, aber keine Hilfskräfte beschäftige. Das war früher anders, es gab eine Zeit, wo einige junge Juristen für mich arbeiteten, heute arbeite ich allein. Es hängt dies zum Teil mit der Änderung meiner Praxis zusammen, indem ich mich immer mehr auf Rechtssachen von der Art der Ihrigen beschränkte, zum Teil mit der immer tiefern Erkenntnis, die ich von diesen Rechtssachen erhielt. Ich fand, daß ich diese Arbeit niemandem überlassen dürfe, wenn ich mich nicht an meinen Klienten und an der Aufgabe, die ich übernommen hatte, versündigen wollte. Der Entschluß aber, alle Arbeit selbst zu leisten, hatte die natürlichen Folgen: ich mußte fast alle Ansuchen um Vertretungen abweisen und konnte nur denen nachgeben, die mir besonders nahe gingen — nun, es gibt ja genug Kreaturen, und sogar ganz in der Nähe, die sich auf jeden Brocken stürzen, den ich wegwerfe. Und außerdem wurde ich vor Überanstrengung krank. Aber trotzdem bereue ich meinen Entschluß nicht, es ist möglich, daß ich mehr Vertretungen hätte abweisen sollen, als ich getan habe, daß ich aber den übernommenen Prozessen mich ganz hingegeben habe, hat sich als unbedingt notwendig herausgestellt und durch die Erfolge belohnt. Ich habe einmal in einer Schrift den Unterschied sehr schön ausgedrückt gefunden, der zwischen der Vertretung in gewöhnlichen Rechtssachen und der Vertretung in diesen Rechtssachen besteht. Es hieß dort: der eine Advokat führt seinen Klienten an einem Zwirnsfaden bis zum Urteil, der andere aber hebt seinen Klienten gleich auf die Schultern und trägt ihn, ohne ihn abzusetzen, zum Urteil und noch darüber hinaus. So ist es. Aber es war nicht ganz richtig, wenn ich sagte, daß ich diese große Arbeit niemals bereue. Wenn sie, wie in Ihrem Fall, so vollständig verkannt wird, dann, nun dann bereue ich fast.“ K. wurde durch diese Reden mehr ungeduldig als überzeugt. Er glaubte irgendwie aus dem Tonfall des Advokaten herauszuhören, was ihn erwartete, wenn er nachgeben würde, wieder würden die Vertröstungen beginnen, die Hinweise auf die fortschreitende Eingabe, auf die gebesserte Stimmung der Gerichtsbeamten, aber auch auf die großen Schwierigkeiten, die sich der Arbeit entgegenstellten, — kurz, alles bis zum Überdruß Bekannte würde hervorgeholt werden, um K. wieder mit unbestimmten Hoffnungen zu täuschen und mit unbestimmten Drohungen zu quälen. Das mußte endgültig verhindert werden, er sagte deshalb: „Was wollen Sie in meiner Sache unternehmen, wenn Sie die Vertretung behalten?“ Der Advokat fügte sich sogar dieser beleidigenden Frage und antwortete: „In dem, was ich für Sie bereits unternommen habe, weiter fortfahren.“ „Ich wußte es ja,“ sagte K., „nun ist aber jedes weitere Wort überflüssig.“ „Ich werde noch einen Versuch machen,“ sagte der Advokat, als geschehe das, was K. erregte, nicht K. sondern ihm. „Ich habe nämlich die Vermutung, daß Sie nicht nur zu der falschen Beurteilung meines Rechtsbeistandes, sondern auch zu Ihrem sonstigen Verhalten, dadurch verleitet werden, daß man Sie, trotzdem Sie Angeklagter sind, zu gut behandelt oder richtiger ausgedrückt nachlässig, scheinbar nachlässig behandelt. Auch dieses Letztere hat seinen Grund; es ist oft besser in Ketten als frei zu sein. Aber ich möchte Ihnen doch zeigen, wie andere Angeklagte behandelt werden, vielleicht gelingt es Ihnen, daraus eine Lehre zu nehmen. Ich werde jetzt nämlich Block vorrufen, sperren Sie die Tür auf und setzen Sie sich hier neben den Nachttisch.“ „Gerne,“ sagte K. und tat, was der Advokat verlangt hatte; zu lernen war er immer bereit. Um sich aber für jeden Fall zu sichern, fragte er noch: „Sie haben aber zur Kenntnis genommen, daß ich Ihnen meine Vertretung entziehe?“ „Ja,“ sagte der Advokat, „Sie können es aber heute noch rückgängig machen.“ Er legte sich wieder ins Bett zurück, zog das Federbett bis zum Knie und drehte sich der Wand zu. Dann läutete er.

Fast gleichzeitig mit dem Glockenzeichen erschien Leni, sie suchte durch rasche Blicke zu erfahren, was geschehen war; daß K. still beim Bett des Advokaten saß, schien ihr beruhigend. Sie nickte K., der sie starr ansah, lächelnd zu. „Hole Block,“ sagte der Advokat. Statt ihn aber zu holen, trat sie nur vor die Tür, rief: „Block! Zum Advokaten!“ und schlüpfte dann, wahrscheinlich weil der Advokat zur Wand abgekehrt blieb und sich um nichts kümmerte, hinter K.s Sessel. Sie störte ihn von nun ab, indem sie sich über die Sessellehne vorbeugte oder mit den Händen, allerdings sehr zart und vorsichtig, durch sein Haar fuhr und über seine Wangen strich. Schließlich suchte K. sie daran zu hindern, indem er sie bei einer Hand erfaßte, die sie ihm nach einigem Widerstreben überließ.

Block war auf den Anruf hin gleich gekommen, blieb aber vor der Tür stehn und schien zu überlegen, ob er eintreten sollte. Er zog die Augenbrauen hoch und neigte den Kopf, als horche er, ob sich der Befehl zum Advokaten zu kommen, wiederholen würde. K. hätte ihn zum Eintreten aufmuntern können, aber er hatte sich vorgenommen, nicht nur mit dem Advokaten, sondern mit allem, was hier in der Wohnung war, endgültig zu brechen und verhielt sich deshalb regungslos. Auch Leni schwieg. Block merkte, daß ihn wenigstens niemand verjage und trat auf den Fußspitzen ein, das Gesicht gespannt, die Hände auf dem Rücken verkrampft. Die Tür hatte er für einen möglichen Rückzug offengelassen. K. blickte er gar nicht an, sondern immer nur das hohe Federbett, unter dem der Advokat, da er sich ganz nahe an die Wand geschoben hatte, nicht einmal zu sehen war. Da hörte man aber seine Stimme: „Block hier?“ fragte er. Diese Frage gab Block, der schon eine große Strecke weitergerückt war, förmlich einen Stoß in die Brust und dann einen in den Rücken, er taumelte, blieb tief gebückt stehn und sagte: „Zu dienen.“ „Was willst du?“ fragte der Advokat, „du kommst ungelegen.“ „Wurde ich nicht gerufen?“ fragte Block mehr sich selbst als den Advokaten, hielt die Hände zum Schutze vor und war bereit wegzulaufen. „Du wurdest gerufen,“ sagte der Advokat, „trotzdem kommst du ungelegen.“ Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Du kommst immer ungelegen.“ Seitdem der Advokat sprach, sah Block nicht mehr auf das Bett hin, er starrte vielmehr irgendwo in eine Ecke und lauschte nur, als sei der Seitenblick des Sprechers zu blendend, als daß er ihn ertragen könnte. Es war aber auch das Zuhören schwer, denn der Advokat sprach gegen die Wand, und zwar leise und schnell. „Wollt Ihr, daß ich weggehe?“ fragte Block. „Nun bist du einmal da,“ sagte der Advokat. „Bleib!“ Man hätte glauben können, der Advokat habe nicht Blocks Wunsch erfüllt, sondern ihm etwa mit Prügeln gedroht, denn jetzt fing Block wirklich zu zittern an. „Ich war gestern,“ sagte der Advokat, „beim dritten Richter, meinem Freund, und habe allmählich das Gespräch auf dich gelenkt. Willst du wissen, was er sagte?“ „O bitte,“ sagte Block. Da der Advokat nicht gleich antwortete, wiederholte Block nochmals die Bitte und neigte sich, als wolle er niederknien. Da fuhr ihn aber K. an: „Was tust du?“ rief er. Da ihn Leni an dem Ausruf hatte hindern wollen, faßte er auch ihre zweite Hand. Es war nicht der Druck der Liebe, mit dem er sie festhielt, sie seufzte auch öfters und suchte ihm die Hände zu entwinden. Für K.s Ausruf aber wurde Block gestraft, denn der Advokat fragte ihn: „Wer ist denn dein Advokat?“ „Ihr seid es,“ sagte Block. „Und außer mir?“ fragte der Advokat. „Niemand außer Euch,“ sagte Block. „Dann folge auch niemandem sonst,“ sagte der Advokat. Block erkannte das vollständig an, er maß K. mit bösen Blicken und schüttelte heftig gegen ihn den Kopf. Hätte man dieses Benehmen in Worte übersetzt, so wären es grobe Beschimpfungen gewesen. Mit diesem Menschen hatte K. freundschaftlich über seine eigene Sache reden wollen! „Ich werde dich nicht mehr stören,“ sagte K. in den Sessel zurückgelehnt. „Knie nieder oder krieche auf allen Vieren, tu’ was du willst, ich werde mich nicht darum kümmern.“ Aber Block hatte doch Ehrgefühl, wenigstens gegenüber K., denn er ging mit den Fäusten fuchtelnd auf ihn zu, und rief so laut als er es nur in der Nähe des Advokaten wagte: „Sie dürfen nicht so mit mir reden, das ist nicht erlaubt. Warum beleidigen Sie mich? Und überdies noch hier vor dem Herrn Advokaten, wo wir beide, Sie und ich, nur aus Barmherzigkeit geduldet sind? Sie sind kein besserer Mensch als ich, denn Sie sind auch angeklagt und haben auch einen Prozeß. Wenn Sie aber trotzdem noch ein Herr sind, dann bin ich ein ebensolcher Herr, wenn nicht gar ein noch größerer. Und ich will auch als ein solcher angesprochen werden, gerade von Ihnen. Wenn Sie sich aber dadurch für bevorzugt halten, daß Sie hier sitzen und ruhig zuhören dürfen, während ich, wie Sie sich ausdrücken, auf allen Vieren krieche, dann erinnere ich Sie an den alten Rechtsspruch: für den Verdächtigen ist Bewegung besser als Ruhe, denn der, welcher ruht, kann immer, ohne es zu wissen, auf einer Wagschale sein und mit seinen Sünden gewogen werden.“ K. sagte nichts, er staunte nur mit unbeweglichen Augen diesen verwirrten Menschen an. Was für Veränderungen waren mit ihm nur schon in der letzten Stunde vor sich gegangen! War es der Prozeß, der ihn so hin und her warf und ihn nicht erkennen ließ, wo Freund und wo Feind war. Sah er denn nicht, daß der Advokat ihn absichtlich demütigte und diesmal nichts anderes bezweckte, als sich vor K. mit seiner Macht zu brüsten und sich dadurch vielleicht auch K. zu unterwerfen? Wenn Block aber nicht fähig war, das zu erkennen oder wenn er den Advokaten so sehr fürchtete, daß ihm jene Erkenntnis nichts helfen konnte, wie kam es, daß er doch wieder so schlau oder so kühn war, den Advokaten zu betrügen und ihm zu verschweigen, daß er außer ihm noch andere Advokaten für sich arbeiten ließ. Und wieso wagte er es, K. anzugreifen, da dieser doch gleich sein Geheimnis verraten konnte. Aber er wagte noch mehr, er ging zum Bett des Advokaten und begann sich nun auch dort über K. zu beschweren: „Herr Advokat,“ sagte er, „habt Ihr gehört, wie dieser Mann mit mir gesprochen hat? Man kann noch die Stunden seines Prozesses zählen und schon will er mir, einem Mann, der fünf Jahre im Prozesse steht, gute Lehren geben. Er beschimpft mich sogar. Weiß nichts und beschimpft mich, der ich, soweit meine schwachen Kräfte reichen, genau studiert habe, was Anstand, Pflicht und Gerichtsgebrauch verlangt.“ „Kümmere dich um niemanden,“ sagte der Advokat, „und tue, was dir richtig scheint.“ „Gewiß,“ sagte Block, als spreche er sich selbst Mut zu, und kniete unter einem kurzen Seitenblick nun knapp beim Bett nieder. „Ich knie schon, mein Advokat,“ sagte er. Der Advokat schwieg aber. Block streichelte mit einer Hand vorsichtig das Federbett. In der Stille, die jetzt herrschte, sagte Leni, indem sie sich von K.s Händen befreite: „Du machst mir Schmerzen. Laß mich. Ich gehe zu Block.“ Sie ging hin und setzte sich auf den Bettrand. Block war über ihr Kommen sehr erfreut, er bat sie gleich durch lebhafte, aber stumme Zeichen, sich beim Advokaten für ihn einzusetzen. Er benötigte offenbar die Mitteilungen des Advokaten sehr dringend, aber vielleicht nur zu dem Zweck, um sie durch seine übrigen Advokaten ausnützen zu lassen. Leni wußte wahrscheinlich genau, wie man dem Advokaten beikommen könne, sie zeigte auf die Hand des Advokaten und spitzte die Lippen wie zum Kuß. Gleich führte Block den Handkuß aus und wiederholte ihn auf eine Aufforderung Lenis hin noch zweimal. Aber der Advokat schwieg noch immer. Da beugte sich Leni über den Advokaten hin, der schöne Wuchs ihres Körpers wurde sichtbar, als sie sich so streckte, und strich tief zu seinem Gesicht geneigt über sein langes weißes Haar. Das zwang ihm nun doch eine Antwort ab. „Ich zögere, es ihm mitzuteilen,“ sagte der Advokat und man sah, wie er den Kopf ein wenig schüttelte, vielleicht um des Drucks von Lenis Hand mehr teilhaftig zu werden. Block horchte mit gesenktem Kopf, als übertrete er durch dieses Horchen ein Gebot. „Warum zögerst du denn?“ fragte Leni. K. hatte das Gefühl, als höre er ein einstudiertes Gespräch, das sich schon oft wiederholt hatte, das sich noch oft wiederholen würde und das nur für Block seine Neuheit nicht verlieren konnte. „Wie hat er sich heute verhalten?“ fragte der Advokat, statt zu antworten. Ehe sich Leni darüber äußerte, sah sie zu Block hinunter und beobachtete ein Weilchen, wie er die Hände ihr entgegenhob und bittend aneinander rieb. Schließlich nickte sie ernst, wandte sich zum Advokaten und sagte: „Er war ruhig und fleißig.“ Ein alter Kaufmann, ein Mann mit langem Bart flehte ein junges Mädchen um ein günstiges Zeugnis an. Mochte er dabei auch Hintergedanken haben, nichts konnte ihn in den Augen eines Mitmenschen rechtfertigen. Er entwürdigte fast den Zuseher. So wirkte also die Methode des Advokaten, welcher K. glücklicherweise nicht lange genug ausgesetzt gewesen war, daß der Klient schließlich die ganze Welt vergaß und nur auf diesem Irrweg zum Ende des Prozesses sich fortzuschleppen hoffte. Das war kein Klient mehr, das war der Hund des Advokaten. Hätte ihm dieser befohlen, unter das Bett wie in eine Hundehütte zu kriechen und von dort aus zu bellen, er hätte es mit Lust getan. Als sei K. beauftragt, alles was hier gesprochen wurde, genau in sich aufzunehmen, an einem höhern Ort die Anzeige davon zu erstatten und einen Bericht abzulegen, hörte er prüfend und überlegen zu. „Was hat er während des ganzen Tags getan?“ fragte der Advokat. „Ich habe ihn,“ sagte Leni, „damit er mich bei der Arbeit nicht störe, in dem Dienstmädchenzimmer eingesperrt, wo er sich ja gewöhnlich aufhält. Durch die Lücke konnte ich von Zeit zu Zeit nachsehn, was er machte. Er kniete immer auf dem Bett, hatte die Schriften, die du ihm geliehen hast, auf dem Fensterbrett aufgeschlagen und las in ihnen. Das hat einen guten Eindruck auf mich gemacht; das Fenster führt nämlich nur in einen Luftschacht und gibt fast kein Licht. Daß Block trotzdem las, zeigte mir, wie folgsam er ist.“ „Es freut mich, das zu hören,“ sagte der Advokat. „Hat er aber auch mit Verständnis gelesen?“ Block bewegte während dieses Gesprächs unaufhörlich die Lippen, offenbar formulierte er die Antworten, die er von Leni erhoffte. „Darauf kann ich natürlich,“ sagte Leni, „nicht mit Bestimmtheit antworten. Jedenfalls habe ich gesehn, daß er gründlich las. Er hat den ganzen Tag über die gleiche Seite gelesen und beim Lesen den Finger die Zeilen entlanggeführt. Immer wenn ich zu ihm hineinsah, hat er geseufzt, als mache ihm das Lesen viel Mühe. Die Schriften, die du ihm geliehen hast, sind wahrscheinlich schwer verständlich.“ „Ja,“ sagte der Advokat, „das sind sie allerdings. Ich glaube auch nicht, daß er etwas von ihnen versteht. Sie sollen ihm nur eine Ahnung davon geben, wie schwer der Kampf ist, den ich zu seiner Verteidigung führe. Und für wen führe ich diesen schweren Kampf? Für — es ist fast lächerlich es auszusprechen — für Block. Auch was das bedeutet, soll er begreifen lernen. Hat er ununterbrochen studiert?“ „Fast ununterbrochen,“ antwortete Leni, „nur einmal hat er mich um Wasser zum Trinken gebeten. Da habe ich ihm ein Glas durch die Luke gereicht. Um 8 Uhr habe ich ihn dann herausgelassen und ihm etwas zu essen gegeben.“ Block streifte K. mit einem Seitenblick, als werde hier Rühmendes von ihm erzählt und müsse auch auf K. Eindruck machen. Er schien jetzt gute Hoffnungen zu haben, bewegte sich freier und rückte auf den Knien hin und her. Desto deutlicher war es, wie er unter den folgenden Worten des Advokaten erstarrte. „Du lobst ihn,“ sagte der Advokat. „Aber gerade das macht es mir schwer, zu reden. Der Richter hat sich nämlich nicht günstig ausgesprochen, weder über Block selbst noch über seinen Prozeß.“ „Nicht günstig?“ fragte Leni. „Wie ist das möglich?“ Block sah sie mit einem so gespannten Blick an, als traue er ihr die Fähigkeit zu, jetzt noch die längst ausgesprochenen Worte des Richters zu seinen Gunsten zu wenden. „Nicht günstig,“ sagte der Advokat. „Er war sogar unangenehm berührt, als ich von Block zu sprechen anfing. Reden Sie nicht von Block, sagte er. Er ist mein Klient, sagte ich. Sie lassen sich mißbrauchen, sagte er. Ich halte seine Sache nicht für verloren, sagte ich. Sie lassen sich mißbrauchen, wiederholte er. Ich glaube es nicht, sagte ich. Block ist im Prozeß fleißig und immer hinter seiner Sache her. Er wohnt fast bei mir, um immer auf dem Laufenden zu sein. Solchen Eifer findet man nicht immer. Gewiß, er ist persönlich nicht angenehm, hat häßliche Umgangsformen und ist schmutzig, aber in prozessualer Hinsicht ist er untadelhaft. Ich sagte untadelhaft, ich übertrieb absichtlich. Darauf sagte er: Block ist bloß schlau. Er hat viel Erfahrung angesammelt und versteht es, den Prozeß zu verschleppen. Aber seine Unwissenheit ist noch viel größer als seine Schlauheit. Was würde er wohl dazu sagen, wenn er erfahren würde, daß sein Prozeß noch gar nicht begonnen hat, wenn man ihm sagen würde, daß noch nicht einmal das Glockenzeichen zum Beginn des Prozesses gegeben ist. Ruhig, Block,“ sagte der Advokat, denn Block begann sich gerade auf unsicheren Knien zu erheben und wollte offenbar um Aufklärung bitten. Es war jetzt das erstemal, daß sich der Advokat mit ausführlicheren Worten geradezu an Block wendete. Mit müden Augen sah er halb ziellos, halb zu Block hinunter, der unter diesem Blick wieder langsam in die Knie zurücksank. „Diese Äußerung des Richters hat für dich gar keine Bedeutung,“ sagte der Advokat. „Erschrick doch nicht bei jedem Wort. Wenn sich das wiederholt, werde ich dir gar nichts mehr verraten. Man kann keinen Satz beginnen, ohne daß du einen anschaust, als ob jetzt dein Endurteil käme. Schäme dich hier vor meinem Klienten! Auch erschütterst du das Vertrauen, das er in mich setzt. Was willst du denn? Noch lebst du, noch stehst du unter meinem Schutz. Sinnlose Angst! Du hast irgendwo gelesen, daß das Endurteil in manchen Fällen unversehens komme aus beliebigem Munde zu beliebiger Zeit. Mit vielen Vorbehalten ist das allerdings wahr, ebenso wahr aber ist es, daß mich deine Angst anwidert und daß ich darin einen Mangel des notwendigen Vertrauens sehe. Was habe ich denn gesagt? Ich habe die Äußerung eines Richters wiedergegeben. Du weißt, die verschiedenen Ansichten häufen sich um das Verfahren bis zur Undurchdringlichkeit. Dieser Richter z. B. nimmt den Anfang des Verfahrens zu einem andern Zeitpunkt an als ich. Ein Meinungsunterschied, nichts weiter. In einem gewissen Stadium des Prozesses wird nach altem Brauch ein Glockenzeichen gegeben. Nach der Ansicht dieses Richters beginnt damit der Prozeß. Ich kann dir jetzt nicht alles sagen, was dagegen spricht, du würdest es auch nicht verstehn, es genüge dir, daß viel dagegen spricht.“ Verlegen fuhr Block unten mit den Fingern durch das Fell des Bettvorlegers, die Angst wegen des Ausspruchs des Richters ließ ihn zeitweise die eigene Untertänigkeit gegenüber dem Advokaten vergessen, er dachte dann nur an sich und drehte die Worte des Richters nach allen Seiten. „Block,“ sagte Leni in warnendem Ton und zog ihn am Rockkragen ein wenig in die Höhe. „Laß jetzt das Fell und höre dem Advokaten zu.“ K. begriff nicht, wie der Advokat daran hatte denken können, durch diese Vorführung ihn zu gewinnen. Hätte er ihn nicht schon früher verjagt, er hätte es durch diese Szene erreicht.


Vorheriges Kapitel // Nächstes Kapitel

Zurück zur Startseite